Dieses eine Blatt

Dieses eine Urteil, dieses eine Blatt, vor deine Sprache, vor dein Wissen, ich bin vor der Sprache, vor dem Wissen, das dumme Gesicht, ohne Einspruch, eins, sein Richter, Henker, dumm und bösartig, bösartig und dumm, klein und Schwein.

Die Ketten, der Brei, Grenzlinie, nicht Mann sein, nicht dein sein, allein sein. Neu sein, klein sein. Mutter sein, mein sein, im Dunkel sein. Sein. Foltern und heulen.

Der Verurteilte entzieht sich. Stück Scheiße. Du sein, laut sein, wehleidig. Nur monadisch sein. Das einzige was aus der Kiste ragt, ist das Folterinstrument, Stimme.

Warte bis das nächste Wort kommt, du weißt nicht wann, es wird kommen, ein dummer Schwall, eine Beleidigung, ein hölzernes Selbstmitleid. Du wirst nicht sein. Weil ich will, dass ES leidet. Ich finde mein Juckreiz soll der tiefste Schmerz des anderen sein.

Hügel lassen dich nicht stürzen, nur rollen, hinab. Schwindel, und wieder Dummheit. Es gibt nichts, was du gerne tust. So streckst du deine Waffen aus der Kiste und küsst dein eigenes lächerliches Leid, soll jemand anderes leiden. Kann ich nicht ein Spielzeug zum Quälen haben, vielleicht ein Kind, einen Gefangenen. Nur einen Folterknecht brauche ich nicht. Das mache ich gerne selbst, und dann weine ich.

Ich kann dich nicht verstehen, und ich will es nicht wissen, weil ich es nicht kann, aber ich weiß, was du sagst. Heute reden wir wieder über das Sterben, aber nur über mein Sterben. Ich will nur sterben wollen, wenn ich dadurch meinen Willen durchsetze, kann aber nicht vertsehen, wenn du etwas sagst. Ich höre nur, wenn ich hören will. Es ist dunkel, das will ich nicht. Ich will sterben, du sagst immer das Falsche, das ich sage, ich sage das Richtige.

Ich sterbe ja sowieso, dann ist es ja gleich. Krankenfedern. Winter mit einer Prise Sommer. Du weißt nicht, wie das ist. Du jagst mich immer nur in Sachen, du bringst mich immer nur wo hin, wo ich leide. Mein Rücken juckt. Es tut so bestialisch weh.

Die Wiederholung, in Variation einfach die Wiederholung, zwischendurch heulen. Erhöhen des Leidensbildes, Hilfe, Hilfe! Und die einzelnen Schritte in loser Ordnung einfach wiederholen. Pause.

Die Erfindung des Timings. Unbestimmt, unvorhersehbar. Es ist furchtbar, du willst ja nur, dass ich leide. Immer mit diesem Jucken. Und den nächsten Textbaustein, den nächsten Alarm, Heulen oder Hilferuf. Pause. Wie kann ich das Gespräch wieder aufnehmen? Jucken? Der Ort? Wo bin ich? Du bist gemein? Der Ort? Das pfeifende Kind? Es kratzt sich, bis es blutet. Ich halt' das nicht mehr aus! Erhöhen, erhöhen, erhöhen, bis alle Worte nicht mehr heran reichen. Seufzen, Jammern, es geht um Teilnahme, das Leid, ein einfaches Jucken, will Teilnahme. Alles eigene ist zu viel, zu schwer. Die anderen, die anderen, die anderen... haben mehr, sind böse und gemein machen immer, ne ne ne. Pfeifen, stöhnen, gähnen, einschlafen, aufwachen, jucken, wenn einer spricht, widerspricht, dann Metaebene, du weißt immer alles besser, alternativ Personaltausch, Bruder, Mann, Sohn, alle, keiner, ist da, wer ist da. Seufzen, Hilfe rufen... Die Nacht endet für alle, wenn ich es will. Alle müssen ins Bett, wenn ich ins Bett muss, das finden sie immer ganz doof, doch entschuldige, ich lass dich jetzt schlafen... Sind wir hier nicht im Kino? Setze das Gespräch mit einem chronologisch unanhängigen Abschnitt fort. Oder, für eine Zeit, mache nur stille, wortlose Schlingen, die für Aufmerksamkeit sorgen.

Die Klingel ist für einen weiteren Schritt ein hervorragendes Werkzeug. Du weißt nicht, dass es eine Klingel ist, du weißt es nur, wenn du sie einsetzt, dann wieder nicht. Du schätzt die Glaubwürdigkeit ein, Raumgewinn.

...

Unter der Folter, hinter der Folter, im Schädel meiner Mutter: Es muss alles falsch sein, damit ich Angst habe. Eine Übersetzung: Immer das gleiche Muster, Schrank, Tisch, ein Fernseher an der Wand, ein Bild, Klamotten. Aber wenn das ein Krankenhaus ist, muss doch alles streril sein. Aber ich habe doch in einem Krankenhaus gearbeitet, da muss alles steril sein. Es juckt, und überall ist das gleiche Muster. Und das Wasser, wer weiß schon, was da drin ist. Und der Geruch, hier riecht es doch, und vielleicht kommt das von draußen herein. Früher gab es doch noch kein Altzheimer, und überall juckt es. Ich versuche es jetzt nochmal mit Schluchzen, klappt nicht. Vielleicht später heuelen. Das Wecken ist ein gutes Mittel gegen deinen Schlaf, weil, ich kann ja nicht schlafen. Wenn ich ins Bett gehen sollte, hatte ich Angst vor Räubern, und dann mussten meine Schwestern auch mit ins Bett gehen, das haben sie gehasst, weil ich nicht allein ins Bett gehen sollte, mussten sie mit. So mach ich das jetzt auch. Das ist doch das immerselbe Muster, ein Schrank, und dann ist da ein Tisch, das ist doch nicht normal, das muss doch alles steril sein in einem Krankenhaus. Ich hab' doch da gearbeitet, und dann juckt es da überall so bestialisch.

Das Große, alles, nie ist jemand da, keiner kommt vorbei. Wenn das ein Krankenhaus wäre, würden doch Schwestern hier vorbei kommen, aber hier kommt nie jemand.

Schnarchen. Ich bin ein Rhinozeros. Durchgang. Und dann stehen hier so komische Sachen. Und das Muster wiederholt sich. Immer. Überall.

Und dann hängt da dieses Zeug überall über dem Bett. Und dein Gesicht ist ganz rot, bestimmt ist dein Gesicht ganz rot, und bestimmt ist mein Gesicht auch schon ganz rot. Wer weiß schon, wo das Wasser hier her kommt.

Wiederholung, Wiederholung, Wiedergabe, Wiedergabe, Schnarchen.

Ganz klein, und lau. Das ist die ruhige Stunde, sie hat begonnen das Urteil zu lesen... leise begonnen.

WIEDERGABE

Ganz klein und leise, und früher gab es doch noch kein Altzheimer

HOLZWEG

Es ist eingeschrieben, und von dieser Stunde an wird es gelesen. Sie liest es. In jeder Nacht, ab dieser Stunde. Nur wenige Worte aus einem begrenzten Repertoire.

WENN ICH

der Offizier bin, vertsehe ich jetzt, da ich als Reisender jetzt laut, bestimmt und unwiderruflich sage, dass ich diese Maschine, das Schreiben des Urteils, die Folter nicht akzeptiere, nicht vor dem neuen Kommandanten verteidigen werde

DIE WIEDERGABE

also der Strafe nicht sein werde, dann dies ein Holzweg ist, dass ich selbst die

WIEDERGABE DES URTEILS

bin, dass ich selbst auf diesem

HOLZWEG

das Prinzip des Urteils, das vom alten Kommandanten erweckte System der

BESTRAFUNG

leseen muss, als Urteil. Dann wird es meine

WIEDERHOLUNG

des Urteils sein.

Es ist eben doch eine Pfeife. Der Schädel meiner Mutter ist unter die Heizkörper gefallen, vom Bett herunter auf den Boden. Er hat die Form einer silbernen runden Scheibe, einseitig bedruckt, anderseitig beschrieben mit von bloßen Augen meist lesbaren winzigen Erhebungen und Löchern. Diese sind die

WIEDERGABE

des Urteils, im Schädel meiner Mutter.

BINÄRES PRINZIP

Abbild des Schädels und auch

WIEDERGABE DES BILDES

Das Urteil ist in seine Reproduktion eingeschrieben. An und Aus. Eins und Null. Ein Zahlensystem, dass wie ein Räderwerk die Kraft des Wirklichen in ein Abbild des Wirklichen übersetzt. Es ist in der Wiederholung ein Schreiben der

WIEDERGABE

die Wiederholung außerhalb einer zeitlichen Abfolge, die bestimmt, was zuerst und was wirklich war, eingeschrieben. Das Urteil wird geschrieben, indem es vollzogen wird. Der Holzweg ist das umfassende System des Fällens und des Vollzugs.

Und sie weiß nichts von dem Urteil, bis sie den Vollzug spürt, als Schrift in ihrem Schädel.

AUSLÖSCHUNG

UND

SCHRIFT

wechseln ihre Abfolge, ihre Wortbedeutung

DIE ANDERE IST DIE EINE

in der stillen Stunde, in dere sie beginnt dieses Urteil, das eine Auslöschung der Schrift im Schädel als Schrift, als

WIEDERGABE

DES

URTEILS

benutzt.

Es ist als bedeute das Alte das Neue. Der Übertrag der alten Erzählung der Wirklichkeit sowie der dauernden Wirklichkeit selbst. Mit dem Übertrag selbst beginnt die Auslöschung und schreibt sich als

WIEDERHOLUNG

DER

WIEDERGABE

in ihren Schädel ein. Es erhält sich so der Verlust als Gedächtnis. Der Reisende erhält durch die Beobachtung der Vorführung das Abbild dieses Prozesses, sowie des Urteils und seines Vollzugs.

Da kann man sich nur noch kratzen, ohne dass es Abhilfe ist, es wird noch mehr jucken.

BESTIALISCH

nennt sie den Juckreiz, dessen Wiederholung sie herbeiführt.

WIEDERHOLUNG

scheint die Aufgabe des Kratzens zu sein.

DAUERNDE HERBEIFÜHRUNG

der Wiederholung durch Kratzen ist die Gier nach Schrift, dass etwas in der Art eingeschrieben wird, dass

ALLE

es lesen müssen. Die Ausdehnung der Auslöschung auf

ALLE

ist in der Ausdehnung der Wiedergabe in Unzahl angelegt. Das binäre System ist nicht weniger unendlich oder endlich als das dezimale. Doch lassen wir in ihm nur noch die Maschinen lesen und schreiben. Uns ist das Bild der Pfeife gleich der Pfeife. Sie wird nicht mehr gebraucht. Wir sehen sie nur noch an.

WAHRNEHMUNG